Das Sterben ist ein Teil des Lebens und doch berührt es jeden auf besondere Weise. In stillen Räumen der Pflegeheime, auf Friedhöfen, bei Abschieden in der Familie oder in Hospizen wird der letzte Weg begleitet – geprägt von Ritualen, Entscheidungen und Momenten voller Nähe und Verlust. Wie Menschen sterben, trauern und erinnern erzählt viel über das Leben selbst. Für die Reportagereihe „Wie sterben Menschen heute?“ besuchten die LokalDirekt-Volontäre Amaris Seegmüller und Paul Hösterey sowie Praktikantin Carlotta Warmuth Einrichtungen, die täglich mit dem Lebensende konfrontiert sind. Teil 8 der Serie umfasst einen Besuch bei Home Instead in Lüdenscheid.
Die Petersilie – eine große, denkmalgeschützte Villa am Rand des Loher Wäldchens. Einst hatte hier ein nobles Restaurant seinen Sitz, heute, seit 2020, hat der Betreuungsdienst „Home Instead“ darin sein Zuhause gefunden. Ein Haus, das früher ein Ort des Genießens war, birgt heute die leisen Geschichten des Älterwerdens in seinen Räumen.
Als wir das Gebäude betreten, empfängt uns Geschäftsführerin Silke Domnik mit einem warmen Lächeln – ein freundlicher Kontrast zu dem schweren Thema, über das wir heute sprechen.
Durch den Eingangsbereich, in dem kunstvoll verzierte Holzpaneele und hervorstehende Stuckelemente an frühere Zeiten erinnern, führt sie uns vorbei an einer dunklen, rustikalen Holztreppe in ihr Büro. Auch hier finden sich die schweren Wandverkleidungen wieder, die dem Raum einen besonderen Charme verleihen.
Wir nehmen an einem großen, schweren Holztisch Platz, der genauso rustikal ist wie der Rest der Villa. Silke Domnik sitzt uns gegenüber. Auf ihrem beigen Strickpullover glänzt die kleine Home-Instead-Anstecknadel – ein unscheinbares Symbol für eine Arbeit, die selten leicht ist.
Während wir sprechen, wandert der Blick nach oben: Ein großer Kronleuchter hängt über uns, getragen von einer Decke aus dunklen Holz-Kassettierungen. In den einzelnen Feldern sind sorgfältig gezeichnete florale Malereien zu erkennen.
Ein Raum voller Geschichte, in dem wir über das sprechen, was uns alle betrifft – und doch so oft verdrängt wird: das Sterben.
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Home Instead- Rundum gut betreut
Home Instead gilt als reiner Betreuungsdienst, der Menschen in allen Lebenslagen unterstützt – egal ob Senioren, Kinder mit besonderen Bedürfnissen oder Familien, die vorübergehend Hilfe brauchen. Wir sitzen in Silke Domniks Büro. Sie lehnt sich leicht nach vorne, die Hände locker auf dem großen Holztisch, ihr Blick aufmerksam, die Lippen zu einem stolzen Lächeln gehoben. „Wir fangen im Grunde da an, wo Hilfe gebraucht wird“, erklärt sie. „Wir begleiten zum Arzt, helfen im Haushalt, kochen, gehen einkaufen, unterstützen bei der Grundpflege – eigentlich bei allem.“
Das Lächeln ist nicht übertrieben. Home Instead betreibt 180 eigenständige Büros deutschlandweit und gilt damit als Nummer eins unter den Betreuungsdiensten in Deutschland. Domniks Haltung spiegelt die Mischung aus Stolz und Verantwortung wider, die sie in ihrer Arbeit täglich trägt. „Wir versorgen zwar hauptsächlich Senioren, aber seit Kurzem betreuen wir auch Kinder, zum Beispiel in der Schulbegleitung. So können sie trotz einer Behinderung am regulären Unterricht teilnehmen. Manche Kinder haben keinen Pflegegrad, manchmal ist ein Elternteil erkrankt und kann nicht mehr so da sein, wie er oder sie gerne würde – dann springen wir ein.“
Ihr Blick schweift kurz aus dem Fenster in den Hof der Villa, als sie über die Herausforderungen der Angehörigen spricht. „Oft rufen Senioren selbst an. Sie sagen: ‚Ich schaffe das nicht mehr allein. Mein Partner ist dement, ich brauche mal wieder eine Pause, körperlich geht es einfach nicht mehr.‘ Oder: ‚Ich kann meinen Haushalt nicht mehr bewältigen, es ist keine Familie da, die helfen kann'." Ihre Stimme wird ruhig, aber bestimmt, während sie fortfährt: „Wenn ein Pflegegrad noch fehlt, unterstützen wir dabei, einen zu beantragen. Aber auch wenn noch kein Pflegegrad vorliegt, helfen wir selbstverständlich trotzdem.“
Silke Domniks Haltung ist deutlich spürbar: geduldig, aber bestimmt, empathisch und gleichzeitig professionell. Ihre Körpersprache unterstreicht, was sie sagt: Hier wird niemand allein gelassen, egal wie groß oder klein die Herausforderung ist.
Sterbebegleitung- Bewältigung und Umgang
Die Arbeit bei Home Instead umfasst nicht nur den Alltag und die alltägliche Hilfe – sie bringt die Betreuungskräfte auch immer wieder in Situationen, in denen es um Leben und Sterben geht, denn das sei immer wieder ein Thema: „Oft ist es so, dass Angehörige oder die Personen selber erst sehr spät kommen und sagen: ‚Naja, ich schaffe das immer noch alleine, es ist nur sehr schwierig‘ – und dann verstirbt der Partner plötzlich. Oder wir sind lange im Einsatz, die Familie ist weit weg oder nicht mehr vorhanden und der Patient verstirbt“, erzählt Silke Domnik. Während sie spricht, verschränkt sie die Hände, lässt sie wieder los.
„Wir schulen unsere Betreuungskräfte dafür. In der sogenannten CarePro-Akademie behandeln wir solche Fälle und die Sterbebegleitung, damit unsere Kräfte vorbereitet sind und wissen, was zu tun ist. Und wir bieten zusätzlich Kurse zusammen mit dem Standort in Bergisch Gladbach an, damit sie auch auf extreme Situationen vorbereitet werden.“ Ihre Hände liegen ruhig auf ihrem Schoß.
Domnik atmet einmal tief aus, bevor sie weitererzählt. „Wir haben Fälle, in denen wir morgens in die Wohnung kommen und den Patienten tot auffinden. Da müssen unsere Betreuungskräfte wissen: Wie ist der Ablauf? Was mache ich jetzt? Und sie müssen die emotionale Schiene erst einmal ausblenden, was schwerfällt – besonders, wenn man jemanden fünf bis acht Jahre betreut hat. Da bauen sich Bindungen auf. Und umso wichtiger ist die Vorbereitung.“
„Mit der Trauer beschäftigen wir uns meistens hier im Büro. Im Einsatz konzentriert man sich zuerst auf den Patienten, verständigt Polizei und Arzt – das ganze Prozedere. Die Trauer kommt später. Deswegen sind die Schulungen so wichtig, damit unsere Betreuungskräfte wissen, wie sie sich verhalten müssen. Und hier im Büro sprechen wir dann individuell mit ihnen, weil jeder ja auch anders trauert. Es gibt Mitarbeiter, die sagen: ‚Das ist mein Job, ich habe mit dem Tod zu tun‘ – und es gibt andere, die mehr Unterstützung brauchen.“ Ihr Blick wandert kurz durch ihr Büro.
Dann spricht sie über die eigentliche Sterbebegleitung. „Oft äußern Patienten, vor allem wenn sie alleine sind, den Wunsch: ‚Wenn ich sterbe, bist du dann bei mir?‘ Und unsere Betreuungskräfte erzählen dann: ‚Ich war dabei, ich habe die Hand gehalten, ich habe den letzten Atemzug gesehen.‘ Die Trauer ist für jeden unterschiedlich, und wir sind hier Ansprechpartner. Wenn so etwas vorkommt, nehmen wir uns die Zeit, setzen uns zusammen und sprechen darüber. Allein gelassen wird hier niemand.“ In der Ruhe ihrer Gestik wird klar, wie viel Wert sie auf diesen engen Zusammenhalt legt.
Der letzte Weg: Anzeichen, Vermittlung und emotionale Bindungen
Die Begleitung bis zum letzten Moment ist aber nicht nur für die Patienten wichtig – auch die Angehörigen brauchen Unterstützung, um loslassen zu können.
„Es gibt auf jeden Fall Unterschiede. Wir machen das ja manchmal mit den Angehörigen zusammen und da merkt man dann manchmal schon, dass die Familie nicht wirklich loslassen kann. Da ist es aber dann auch die Aufgabe meiner Betreuungskräfte, der Familie zu helfen und klarzumachen, dass es in Ordnung ist loszulassen, denn man merkt dann auch, dass sich so der natürliche Sterbeprozess weiter nach hinten verschiebt, was dem Senior ja natürlich nicht guttut.“ Silke Domnik verschränkt kurz die Finger, löst sie wieder und fährt fort: „Aber meistens fängt es damit an, dass die Person schon nicht mehr wirklich essen und trinken möchte, das also verweigert, und dieser natürliche Sterbeprozess so langsam einsetzt. Das heißt, die Haut wird blasser, das Gesicht etwas spitzer, der Körper fährt halt einfach runter auf Notfunktion, die dann eben auch irgendwann ausfällt.“
Domnik lehnt sich zurück, ihre Hände ruhen ruhig auf dem Tisch, die Augen leicht gesenkt, als wolle sie die Intensität der Situation fühlen. „Unsere Betreuungskräfte merken meist schon ein paar Tage vorher, dass es jetzt bald dem Ende zugeht, eben weil meistens dieses Essen, Trinken, Aufstehen verweigert und der Körper generell viel schwächer wird. Und da können wir die Angehörigen dann auch so langsam darauf vorbereiten und sagen: ‚Es ist jetzt an der Zeit, Abschied zu nehmen.'“
Sie hebt kurz die Hand, als wolle sie betonen, wie wichtig diese Vorbereitung ist. „Oft kommen die Betreuungskräfte auch wieder und berichten, dass es ein ganz tolles Gefühl war und sie bei dem letzten Atemzug dabei waren und zum Beispiel die gewünschte Musik spielen konnten. Also da gehen wir dann auch auf die Wünsche des Patienten ein, wenn er denn noch reden kann, weil es ja eben nicht immer der plötzliche Tod ist.“
Silke Domniks Stimme wird sanft, während sie über die besonderen Fälle spricht. „Wenn der Patient alleine ist und keinen mehr hat – diese Fälle gibt es ja leider auch –, dann sind wir eben auch für den da. Da kommt dann auch ganz schnell dieses Angstverhalten, dass er sagt: ‚Ich habe Angst, zu gehen, ich habe Angst, alleine zu gehen, ich möchte das nicht alleine.'“
Sie hält kurz inne, streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, bevor sie weiterspricht: „Es gibt aber auch den ganz starken Kontrast, wo Patienten sagen: ‚Ich möchte das alleine, ich möchte alleine sterben.‘ Also das ist tatsächlich so unterschiedlich, aber da muss man mit beidem umgehen. Auch als Betreuungskraft muss man da loslassen können, gerade wenn vielleicht keine Familie mehr da war und sich eine enge Beziehung zwischen Patient und Betreuer aufgebaut hat. Wir hatten auch schon Fälle, wo eine Betreuungskraft von einer Patientin im Testament erwähnt wurde, dass sie beispielsweise die Wohnung auflösen sollte. Das dürfen wir natürlich nicht annehmen, aber in solchen Fällen, bei so einer engen Bindung, ist der Abschied dann auch für uns schon nicht einfach.“
Silke Domnik lehnt sich leicht nach vorne, ihr Blick konzentriert, als wolle sie die Stimmung des Raumes spüren. „Diese Vertrautheit kommt ja meistens erst, wenn man einen Patienten wirklich über mehrere Jahre betreut“, erklärt sie, während sie die Hände kurz faltet und dann wieder entspannt auf dem Tisch ablegt. „In so einer langen Zeit lernt man sich kennen, und da entstehen oft emotionale Bindungen oder sogar Freundschaften. Gerade weil wir ein stundenintensiver Dienst sind, wächst diese Bindung noch stärker. Wir sind nicht der klassische Pflegedienst ‚rein und wieder raus‘ – unsere Pflegekräfte sind mindestens zwei Stunden und häufig sogar länger bei den Patienten.“
Domnik atmet tief ein: „Natürlich ist es auch schlimm, wenn eine Betreuungskraft einen Patienten, den sie nur ein paar Wochen oder Monate begleitet hat, plötzlich tot auffindet. Aber es ist noch einmal etwas anderes, wenn über Jahre eine emotionale Bindung entstanden ist. Das ist dann schwieriger zu verkraften.“
Persönlicher Umgang mit Berufsalltag
Für die Geschäftsführerin und ihre Kollegen stellt sich deshalb immer wieder die Frage, wie der beste Umgang mit all dem aussieht, was der Beruf täglich mit sich bringt.
„Man muss den täglichen Umgang mit dem Tod schon verkraften“, sagt sie ruhig. Oft betreffe der Tod nicht nur ältere Menschen. „Der Tod ist ja nicht immer nur der Senior“, erklärt Silke Domnik. „Manchmal ist es auch eine Brustkrebspatientin. Da gibt es wirklich schlimme Geschichten.“
Eine davon begleitet sie bis heute: die Geschichte einer 38-jährigen Mutter. Domniks Blick wird weicher, als sie davon erzählt. „Sie war austherapiert“, sagt sie. „Sie musste sich selbst im Hospiz anmelden. Ihre zwei kleinen Kinder lebten während dieser Zeit bei der Schwester, die uns aber bat, das zu begleiten, weil sie selbst keine Kinder hatte. Da helfen wir dann auch bei der Hausarbeit. Solche Schicksale nehme ich dann schon mit nach Hause“, sagt Domnik, „gerade wenn Kinder dabei sind, das kriegt man nicht sofort aus dem Kopf.“
Ihr Blick schweift kurz umher. Der Alltag ist hier immer präsent, selbst in den Momenten, in denen kurz Ruhe einkehrt. „Der tägliche Wahnsinn lenkt manchmal ab“, sagt sie mit einem kleinen Lächeln. „Es ist immer irgendwas – besonders mit Senioren. Da stürzt mal jemand, oder es steht ein Arzttermin an. Man ist ständig in Bewegung, und das hält einen aufrecht.“
Doch irgendwann endet jeder Arbeitstag. Dann sucht sie bewusst Abstand. „Ich habe eine stabile Familie“, sagt sie. „Und wir haben Tiere, Pferde. Wenn ich abends in den Stall gehe, kann ich durchatmen.“ Die frische Luft, das Rascheln von Heu, das warme Fell eines Pferdes – all das hilft ihr, die Geschichten nicht zu nah an sich heranzulassen.
Genauso wichtig ist das Team. „Die Kollegen fangen einen schon auf“, betont sie. Gespräche im Büro, kurze Blicke, die mehr sagen als Worte. „Man denkt dann schon anders nach so einem Fall“, fügt sie hinzu. „Das nimmt einen mit.“
Besonders dann, wenn die Mitarbeitenden Aufgaben von Eltern übernehmen müssen: „Wir haben die Kinder vom Kindergarten abgeholt“, erinnert sie sich. „Wir sind mit ihnen auf den Spielplatz gegangen, haben sie zu Sportterminen gefahren – all die Dinge, die die Mama nicht mehr übernehmen konnte. Und den Papa gab es ja in diesem Fall auch nicht mehr.“
Sie macht eine kleine Pause und schaut aus dem Fenster, wo ein grauer Winterhimmel über den Häusern hängt. „Da fragt man sich schon, wie diese Kinder später darüber sprechen werden, wenn sie erwachsen sind“, sagt sie leise. „Solche Fälle begleiten einen weiter, auch wenn der Arbeitstag vorbei ist.“
Erfahrungen, die prägen und verändern
Diese Geschichten prägen sich nicht nur ein, sie verändern auch die Art, wie man selbst auf das Leben schaut. Während Domnik erzählt, lehnt sie sich ein Stück zurück und lächelt kurz, fast nachdenklich. „Durch diesen Beruf lebe ich zu 100 Prozent bewusster“, sagt sie überzeugt. „Ich fahre jeden Tag glücklich nach Hause und denke: Wir helfen, wir bewegen da was. Wir verändern ja auch das Älterwerden dadurch ein bisschen – und das macht mich schon stolz.“
Immer wieder erlebt sie Momente, die ihr zeigen, warum ihre Arbeit so wichtig ist. „Teilweise rufen Senioren hier an und sagen, sie könnten nicht mehr“, beginnt sie. „Ihr Mann sei dement, aber sie müssten mal raus, könnten ihn aber nicht alleine lassen, weil er ihnen auf Schritt und Tritt folgt. Und da bitten die uns dann um Hilfe.“ Sie lächelt, diesmal offener: „Das machen wir gerne. Es ist immer schön zu sehen, wenn Betroffene dann wieder mit Freunden Kaffee trinken oder einen Sportkurs besuchen können.“
Die Dankbarkeit der Menschen, sagt sie, sei oft überwältigend. „Da hören wir dann Sachen wie: ‚Danke, Frau Domnik, danke, ich kann wieder etwas leben.‘ Und das macht mich unheimlich stolz.“ Sie hält kurz inne. „Das lässt mich vieles anders betrachten – vor allem das Älterwerden. Da macht man sich ja in jungen Jahren keinen Kopf drum.“
Doch nicht alle Einsätze enden mit dankbaren Rückmeldungen. Immer wieder begegnet Domnik Situationen, die sie auch nach all den Jahren nachdenklich machen. „Wir haben ja nicht nur Senioren, die in einer Villa wohnen“, sagt sie, „sondern auch welche, die in Armut leben, total unterversorgt sind, weil sie keinen – eigentlich dringend benötigten – Pflegegrad haben.“ In solchen Fällen melden sich oft nicht nur Angehörige, sondern auch Nachbarn. "Da gibt es ganz viele schlimme Geschichten“, sagt sie. „Von psychisch Kranken bis hin zu Kindern ist da so gut wie alles dabei. Und diese Schicksale so mitzubekommen, das macht schon was mit einem. Es ist nicht nur Trauer, aber am Ende des Tages helfen wir – und das ist es, was uns ausmacht.“
Besonders schwierig seien Situationen, in denen Angehörige sich gar nicht für den Zustand der betreuten Person interessieren. „Wir wissen nicht, was vorher war und warum das so ist“, sagt Domnik. „Das wollen wir auch gar nicht wissen. Wir sind im Ist-Zustand – und wir müssen da jetzt helfen. Das ist manchmal schön und manchmal nicht so schön.“
Sie spricht von Fällen, die man selbst nach Feierabend nicht abschütteln kann. „Es gibt auch ganz krasse Geschichten, die einen mitnehmen und noch mal die Perspektive ändern“, sagt sie. Dann erzählt sie von einem zweijährigen Jungen mit Herzfehler, der schon einen Pflegegrad hat. „Wenn du dann so einen Kleinen auf dem Arm hast, ganz blass, und er kommt überhaupt nicht zurecht, weil er einfach nur auf seine Herz-OP wartet. Da muss man schon mit umgehen können.“ Die Stimme wird leiser. „Vor allem, wenn nicht zu 100 Prozent klar ist, ob er diese OP überlebt.“
Auch im Krankenhaus werde der Betreuungsdienst oft um Hilfe gebeten. „Wenn die Ärzte uns anrufen und sagen, die Mama kommt nicht mehr alleine klar und sie hätten so viel Gutes über uns gehört, dann gehen wir natürlich hin“, erklärt sie. „Aber auch da müssen wir Dinge aushalten – auch wenn sie nicht gut sind.“
Ständige Konfrontation mit dem Lebensende - mentale und körperliche Belastung
Jeden Tag mit dem Tod konfrontiert zu werden – das ist sicherlich nicht leicht und nicht für jeden etwas. Doch wie wirkt sich das auf die Betroffenen aus? Silke Domnik antwortet klar: „Die schönen Sachen überwiegen den Tod. Ich kann genauso, wie ich jetzt vom Tod rede, von vielen schönen Dingen berichten.“
Sie erzählt von einem 60 Jahre verheirateten Ehepaar. Domnik lehnt sich leicht zurück, die Hände auf dem Tisch gefaltet: „Die beiden lernten sich damals vor einem Riesenrad kennen und hatten noch einmal den Wunsch, gemeinsam Riesenrad zu fahren. Da hat sich unsere Betreuungskraft dann mit ihnen ins Auto gesetzt, ist nach Köln gefahren und hat ihnen diesen Wunsch erfüllt. Die haben dann natürlich auch ganz viele Fotos gemacht – und diese glücklichen Senioren zu sehen, das überwiegt dann schon, wodurch diese Belastung auch gut auszuhalten ist.“
Den Job empfinde sie selbst nicht als anstrengend, betont sie, während sie sich auf ihrem Stuhl leicht zurücklehnt und die Arme verschränkt. „Es macht mir Freude. Ich habe wirklich jeden Tag Freude, ins Büro zu fahren, und mir macht das auch jeden Tag Spaß. Mal mehr, mal weniger – das ist ja klar. Aber ich möchte eigentlich keinen Tag missen, den ich hier habe, und deswegen strengt mich das nicht an.“
Besonders herausfordernd ist die Arbeit mit Demenzkranken, weiß Domnik aus den Erfahrungen ihrer Mitarbeiter. „Sie stellen immer wieder die gleichen Fragen: ‚Was ist mit dir? Wer bist du? Was machen wir hier? Warum sitzen wir hier?‘“, erzählt sie. „Wenn man jemanden einfach nicht aus dieser Schleife rausbekommt, ist das körperlich und mental wirklich anstrengend.“
Doch trotz aller Herausforderungen überwiegen die positiven Seiten des Berufs. Silke Domnik schaut kurz aus dem Fenster auf den ruhigen Innenhof und fährt fort: „Es wird ja viel diskutiert, was den Pflegeberuf angeht, aber ich glaube, der Beruf hat viele schöne Seiten. Und ich denke, auch wenn ich jetzt von meinen Mitarbeitern ausgehe, dann geht es denen auch um die Anerkennung und die Wertschätzung in dem Job. Ich glaube auch, dass sich alle aus dieser Branche diese Wertschätzung und Anerkennung am meisten wünschen“, erklärt sie abschließend.
Sterbewünsche - individueller Umgang
Doch genau diese Wertschätzung, von der sie spricht, zeigt sich nicht nur in kleinen Momenten der Anerkennung, sondern vor allem in den schwierigsten Situationen ihres Arbeitsalltags. Situationen, in denen Nähe, Einfühlungsvermögen und Geduld entscheidend sind, denn: Im Alltag der Sterbebegleitung stoßen die Betreuungskräfte immer wieder auf leise geäußerte, manchmal auch verzweifelte Sterbewünsche. Domnik kennt diese Situationen gut: „Wir hören natürlich oft so Sachen wie ‚Ich möchte einfach nur sterben‘“, sagt sie und lehnt sich im Stuhl zurück. „Das kommt meistens, wenn die Menschen einfach so einsam sind.“ Sie seufzt leise, nicht genervt, eher mitfühlend. „Dann versuchen wir, die da rauszuholen – mit allen möglichen Sachen. Wir sagen dann: ‚Mensch, wir machen jetzt was‘, auch wenn es nur eine Kleinigkeit ist.“
Sie faltet ihre Hände im Schoß. „Viele haben ja niemanden mehr. Dann sagen die ganz oft: ‚Ich möchte sterben. Der liebe Gott soll mich holen.‘ Oder: ‚Ich bin ganz allein, warum holt mich der liebe Gott denn nicht?‘“ Ihre Stimme wird fest. „Und da gehen wir dann sehr souverän mit um. Wir sagen zum Beispiel: ‚Ihre Zeit ist noch nicht abgelaufen. Und die Zeit, die noch verbleibt, die machen wir jetzt schön.'“
Sie lächelt, als sie sich weiter vorbeugt. „Dann frage ich: ‚Was haben Sie denn früher gerne gemacht?‘ Und dann kommen ganz verschiedene Antworten. Manchmal ganz überraschende.“ Sie tippt mit dem Finger auf den Schreibtisch, als würde sie gedanklich eine Liste abarbeiten. „Da habe ich schon mal den Lieblingskuchen von früher gebacken. Oder wir sind gemeinsam zum Grab des Ehemanns gefahren, weil eine Seniorin da unbedingt noch einmal hinwollte. Wir waren auch schon in der Bücherei, weil jemand unbedingt wieder stöbern wollte.“
„Wenn dann der Duft vom Essen hochkommt oder wenn sie nach so einem Ausflug erzählen, wie gut ihnen das getan hat, dann sehe ich richtig, wie die aufleben“, sagt Domnik und lässt den Blick kurz über den Tisch gleiten.
Sie lächelt, diesmal warm und ruhig. „Und dann denke ich mir immer: Der liebe Gott hatte recht. ‚Sie haben noch Zeit‘, sag' ich mir dann.“ Ein kurzer Moment Schweigen, bevor sie hinzufügt: „Und genau diese Zeit nutzen wir. Jeden Tag aufs Neue.“
Wenn Domnik über ihre Arbeit spricht, wird deutlich: Betreuung bedeutet hier weit mehr als organisatorische Hilfe. Sie bedeutet, Menschen in Momenten zu begleiten, in denen vieles brüchig wird – und ihnen trotzdem etwas Halt zu geben. Silke Domnik beschreibt, wie gerade die kleinen, alltäglichen Gesten am Ende oft den größten Unterschied für ihre Patienten machen. Vielleicht ist es genau diese Mischung aus Professionalität, Herz und Menschlichkeit, die den Beruf trotz aller Herausforderungen trägt. Und am Ende bleibt vor allem eines: das Gefühl, dass jeder dieser Momente zählt – und dass er jemanden ein Stück weit durch den Tag bringt.











