In einem feierlichen Rahmen erhielten 99 Menschen aus 23 verschiedenen Herkunftsländern im großen Sitzungssaal im Kreishaus Lüdenscheid die deutsche Staatsbürgerschaft – darunter 51 Mädchen und Frauen sowie 48 Jungen und Männer. Darunter: Kastriot Blushi (28) aus Albanien, der mit seinem Bruder Mehedi im August 2015 erstmals mit dem Treck nach Plettenberg kam – und den wir seither begleiteten. Wir, das sind die vier Mitglieder der Familie Aschauer-Hundt. Beide kamen als Flüchtlinge – und wir nahmen uns ihrer an. Die SPD-Lokalpolitikerin Martina Reinhold kümmerte sich um Kastriots Bruder Mehedi, wir um Kastriot. Und heute sagen wir so stolz wie glücklich: Wir haben es geschafft.

Wie Kastriot und Mehedi ins Sauerland kamen
Aber alles auf Start: Im Sommer 2015 machten sich die beiden Blushi-Brüder in Albanien auf den Weg nach Deutschland. Es war die Zeit der großen Flüchtlingsströme, die sich über den Balkan nach Österreich und Deutschland aufgemacht hatten. Es war die Zeit, als wir alle im Fernsehen die Bilder von in Freilassing und München ankommenden Menschen sahen, die Tage später – übers ganze Land verteilt – auch in Plettenberg, Attendorn und Herscheid anlandeten und untergebracht werden mussten – egal wie, egal wo, Hauptsache nicht unter der Brücke. Das waren wir den Ankömmlingen aus Menschenliebe und aus Christenpflicht schuldig!

Die Freiwillige Feuerwehr Lichtringhausen gehörte zu den ersten Aktiven, die aktive Hilfe betrieben. Im Gerätehaus wurde für die Versorgung der Flüchtlinge gesammelt – als Reporter kam ich dazu, um über die Kleidersammlung, über Bürger, die Wäsche und Hausrat brachten, zu berichten. Weil die Mengen, die an diesem Samstagmorgen ankamen, kaum zu bändigen waren, legte ich die Kamera bald aus der Hand und ich fand mich in der Sortiergruppe der Löschgruppe wieder. Ja, es fühlte sich gut an und ich stehe bis heute dazu, mich schon ganz früh gekümmert zu haben.

Wenige Tage später sagte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Bundespressekonferenz ihr legendäres, mutmachendes „Deutschland ist ein starkes Land. Das Motiv, mit dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft – wir schaffen das!". Ich habe mich damals angesprochen, gemeint, aufgerufen gefühlt – und habe begonnen, hinter die Kulissen zu blicken. Als die Aufnahmekapazität des Plettenberger Übergangswohnheims an der Ohler Straße 100 erschöpft war und die Oesterhalle belegt werden musste, der damalige Bürgermeister Klaus Müller einer giftigen Bürgerversammlung gegenübertreten musste, wurde mir klar, dass die Stadtverwaltung schlicht überfordert war – und dass jetzt Bürgerengagement dringend gebraucht wurde.

Überforderte Stadtverwaltung - Plettenberger Verein hilft

Damals bildete sich ein Verein „Plettenberger helfen“, der der Stadtverwaltung zuarbeitete. Unser damaliger Fuhrpark und willige Helfer wurden eingebunden und wir übernahmen den Transport von Menschen und Hausrat. Wann immer es der Stadtverwaltung gelang, private Wohnungen anzumieten, wurde „Plettenberger helfen“ angefordert, bei der Umsiedlung aus der Ohler Straße 100 in die neuen Quartiere die Fahrten zu organisieren. Je nach Größe der Familien und dem Umfang des bereits vorhandenen Hausrats waren wir zeitweise mit mehreren VW-Bullis und einem Tandemanhängerzug am Start.

Wir haben damals viele Nationalitäten, viele, viele Familien, alle Hautfarben erlebt. Wir sahen sowohl aufgekratzte wie auch traumatisierte Menschen, engagierte wie niedergeschlagene Angekommene. Die Aufgabe hat uns gefordert, keine Frage. Ganz klar war immer, dass wir das schaffen.

Seit dem 20. August 2015 hatten auch Kastriot und sein Bruder ein Zimmer in der Wohneinheit an der Ohler Straße 100. Die beiden waren in einer wahren Odyssee durch halb Westdeutschland nach Plettenberg zugewiesen worden und allein diese Geschichte könnte bereits der Stoff für einen Film sein. Jetzt waren sie in Plettenberg und sie erfuhren von den Transporten, die mehrmals wöchentlich geleistet wurden. Die beiden jungen Albaner und ein kosovarischer Familienvater waren plötzlich bei uns und halfen uns beim Beladen der Fahrzeuge, beim Transport und Abladen.

Ganz genau erinnere ich mich, dass ich als Beifahrer schnell Kastriot im Fahrzeug hatte. Na klar: Albanisch konnte ich nicht, er kein Deutsch. Aber wir kamen irgendwie mit Englisch klar und steuerten mit dem beladenen Fahrzeug von der Papenkuhle zum Obdachlosenasyl am Gansmecker Weg, um dort eine Einquartierung zu bewerkstelligen. Das Haus war damals ein übles Loch, schlecht gedämmt, miserabel beheizt, feucht, muffig. Wie sehr habe ich mich geschämt, dorthin Menschen bringen zu müssen. Dass ich das damals meinem Beifahrer ehrlich eingestand, brach das letzte dünne Eis.

Bald waren sein Bruder und er, Kastriot, zu Gast bei einer der legendären „Packraumpartys“ unserer Kinder und so selbstverständlich dabei, als wären sie immer bei uns gewesen.

Die Würde des Menschen ist unantastbar, aber das deutsche Recht unterscheidet vier Qualitätsstufen des Menschseins

Bei den folgenden Transporten waren die drei Männer immer am Start und Kastriot mein Copilot. Schon früh war aber klar, dass es bei ihm weniger um eine Flucht- als vielmehr um eine Einwanderungsgeschichte ging. Meine Familie lernte dabei, dass es vor dem deutschen Recht vier „Qualitäten“ von Menschen gibt: 1. Deutsche, denen Personalausweis und Reisepass die Welt öffnen, 2. EU-Bürger, denen die Freizügigkeit in Europa zahlreiche Vorteile bringt, 3. Kriegsflüchtlinge, Verfolgte, die „echtes“ Asyl beantragen können ….. und 4. Menschen, auf die 1 bis 3 nicht zutrifft. Albanien ist so ein Herkunftsland – und Kastriot war damit damals ein Mensch der Güteklasse 4. Wäre er 300 Kilometer weiter nördöstlich, nicht in Albanien, sondern in Bulgarien (EU) geboren worden, wäre er in Güteklasse 2 und mit der Freizügigkeit gesegnet gewesen. Aber so ….

Was kam, war tieftraurig und tränenreich. Kastriot musste im Frühjahr 2016 (wie auch sein Bruder) freiwillig ausreisen, zurück nach Albanien. Doch bis es so weit war, waren Plettenberger Betriebe auf die Brüder aufmerksam geworden. Die Kontakte blieben. Zurückgekehrt nach Albanien lernten die Brüder noch intensiver die deutsche Sprache und gingen der deutschen Botschaft in Tirana durch nicht nachlassende Präsenz derart auf den Keks, dass die Rückkehr nach Plettenberg mit einem Arbeitsvisum möglich wurde.

Was daraus wurde? Dies hier: Inzwischen sind beide Brüder Handwerksmeister und in Plettenberger und Attendorner Betrieben in leitender Position angestellt. Gemeinsam mit der Ausländerbehörde beim Märkischen Kreis und der Stadtverwaltung Plettenberg konnten viele Wege gangbar gemacht werden. Zehn Jahre Einwanderungsgeschichte sind sehr erfolgreich ins Land gegangen.

In der ersten Reihe unter 98 weiteren Eingebürgerten steht jener junge Mann, den wir seit zehn Jahren begleitet haben.
Foto: Aschauer-Hundt

Kastriot, mein Beifahrer und positiver Helfer von 2015, ist soeben in einem feierlichen Akt von Landrat Marco Voge im Kreishaus eingebürgert, als Deutscher begrüßt worden. Nun sind wir Landsleute und es fühlt sich hochbefriedigend an.

Wir lassen uns nicht von Miesepetern entmutigen

Ja, wir haben das geschafft und wir schaffen es auch weiter. Manchen anderen Zugewanderten und ebenso geburtsdeutschen Landsleuten, die einen Ratschlag im Umgang mit Ämtern, der Arbeitsagentur und Behörden benötigten, haben wir in den zehn Jahren geholfen – mal mit mehr, mal mit etwas weniger Erfolg. Und doch: Wir haben das geschafft – und sind ein wenig stolz auf das Geleistete und sehr, sehr stolz auf die von uns Betreuten.  

Ach ja, ganz am Rande: Wenn wir heute vom aktuellen Bundeskanzler Friedrich Merz hören „Da können wir uns anstrengen, wie wir wollen, das werden wir nicht schaffen“, dann stimmt uns das traurig. Ein solcher Satz will (!) entmutigen und entwerten, was als bürgerschaftliches, christliches Engagement bis hierher geleistet wurde. Und: Da ist es nicht mehr weit bis zu Alexander Gaulands „Wir wollen das gar nicht schaffen“ - typisch AfD. Beiden sei hier zugerufen: Das ist beleidigend und demotivierend. Trotzdem: Es wurde geschafft und es schafft sich weiter. Seid gewiss!